April 2010 – (Tor)schusspanik und das neue Team

Der April war ein mehr oder weniger „ruhiger“ Monat. Ruhig zumindest bezogen auf Reisen...

Während meiner Blutinfektion arbeitete ich fleißig im Bogota Büro mit, und organisierte den diesigen Teamretiro (Teamtreffen finden ca. jedes halbe Jahr statt, der letzte war ja Ende Oktober). Auf dem Rückweg nach La Union hatte ich also einen Zwischenstopp in Medellin mit allen Freiwilligenteams (Bogota und La Union). Der retiro war ein voller Erfolg! Alle waren total glücklich mit dem ausgesuchten Ort, und wir schafften es unsere gesammelten Themen rücksichtslos auszudiskutieren. Hier schaffte ich es auch noch mich vollständig von meiner Infektion zu erholen, und schwups ging es wieder zurück in die Friedensgemeinde.Geschichtlich war es bereits immer so, und wird solange der Konflikt in Kolumbien besteht wohl auch zukünftig so bleiben, dass egal zu welchen Wahlen die Situation noch einmal gewaltig aufbrodelt. In der Etappe der Präsidentenwahlen war dies besonders stark zu spüren. Wie hier alle sagten: „Die Guerilla wollen Alvaro Uribe noch einen gebührenden Abschied feiern.“ Uribe ging mit dem großen Ziel in seine Präsidentschaft, dass es bis zu seinem Ausscheiden im gesamten Land keine Guerillagruppen mehr gibt. Solche Worte motivieren natürlich! Es mag sein, dass die letzten Monate etwas ruhiger waren, aber dies war nur um Kräfte zu sammeln, und somit in der letzten Zeit seiner Präsidentschaft umso mehr Präsenz zu zeigen. Auch die Nachrichten reflektieren die Anhäufung der Schusswechsel zwischen Guerilla- und Militärgruppen, auch wenn kein einziger der Kämpfe, welche wir von hier aus hören konnten, erwähnt wurden. Im Monat April konnten wir zumindest einmal die Woche den unterschiedlichen Schüssen eines Kampfes zuhören. Die Leute hier können allein vom Geräusch oft erkennen, ob dies nun Schüsse vom offiziellen Militär oder den Guerillas war, oder aus welchem Gewehr sie abgefeuert wurden. Einmal hatte ich auch eine besonders interessante Diskussion von 1,5 Stunden über die unterschiedlichsten Kriegswaffen, welche die zwei Personen mit welchen ich sprach kannten. Spätestens jetzt, mit all den Schusswechseln rund um uns wurden wir mit dem Fakt, dass wir uns mitten in einem Kriegsgebiet befinden, konfrontiert.

Wenn wir Schüsse hören sind wir auf alle Fälle immer in Alarmbereitschaft, und versuchen mehr Information zu bekommen. Wir rufen beim Militär oder anderen Organisationen an und sprechen mit den Leuten vor Ort. Mit der erhaltenen Information machen wir dann eine Analyse und versuchen so gut wie möglich zu agieren bzw. Druck auszuüben wenn erforderlich. Bei den gehörten Schusswechsel waren Friedensgemeindemitglieder nie direkt betroffen, also holten wir nur Information ein. Interessant war es jedoch als ein Friedensgemeindemitglied detenido (verhaftet) war. Wir machten ein paar Anrufe and einige Militärverantwortlichen und auch wenn die Anrufe nicht so effektiv auf uns wirkten, schlussendlich ließen sie den guten Herren doch frei. Es kam sogar ein Soldat anspaziert, um den Verantwortlichen vor Ort zu sagen, dass sie bereits Anrufe erhalten hätten, und dass sie sich mit dieser Festnahme in Probleme begeben würden.

Des Öfteren hören wir auch größere Explosionen, welche jeweils auf (meistens die Entschärfung von) Minen und sonstigen Sprengkörpern zurück zuführen sind. Häufig passiert es, dass Soldaten auf Minen steigen und dadurch auf ein etwaiges Minenfeld aufmerksam werden. Seit Kolumbien in 2000 die Konvention von Ottawa, das freiwillige Anti-Minen-Abkommen unterschrieben hat, produziert und verlegt der kolumbianische Staat keine Minen mehr. Die Mission des Staates ist die Entschärfung aller Minen und Minenfelder, mit dem ursprünglichen (jedoch nicht erreichten) Plan bis 2010 alle Minenfelder deaktiviert zu haben. Trotzdem zählt Kolumbien zu den Ländern in welchen jedes Jahr mehr neue Minen verlegt als entschärft werden.

Im Dezember 2009 fand im kolumbianischen Cartagena die zweite Überprüfungskonferenz der Ottawa-Konvention statt um die Ziele der nächsten fünf Jahre zu planen. 156 Staaten haben die Konvention seit ihrem Inkrafttreten 1999 unterschrieben. Sie verbietet Einsatz, Weiterverbreitung, Lagerung sowie Produktion von Antipersonenminen und arbeitet an einem weltweiten Verbot von Landminen. Nicht umsonst fand diese Konferenz in Kolumbien statt, ist es doch weltweit das Land mit den meisten Minenopfern. Von 1990 bis September 2009 haben die kolumbianischen Behörden offiziell 8.034 Opfer von Landminen und nicht explodierter Munition verzeichnet. 65 Prozent der Opfer wurden auf Seiten von Armee und Polizei registriert, 35 Prozent sind Zivilisten.

Landminen gelten als eine strategische Kriegswaffe, die einfach, billig und effizient ist, daher wird sie allzu oft von den Guerillagruppen eingesetzt. Meistens werden sie genützt, um das Militär von ihren Niederlassungen oder Kokaproduktionen fern zu halten. Häufig jedoch auch als direkten Angriff, werden sie auf Plätzen verlegt an welchem die Militärs sich gerne niederlassen. Unglücklicherweise sind das häufig Schulen und andere öffentliche Plätze welche vom Militär nicht respektiert werden, oder eben Wegesränder. Ein kolumbianischer campesino (Kleinbauer) weicht so gut wie nie vom Weg ab, ein Meter kann schon zu viel sein. Die Minen der Guerilla sind meist selbstzusammengebastelte metallfreie Sprengkörper welche sich in all möglichen Tarnungen (Chipssackerl, Bälle, Körbe, Taschen, etc.) befinden können. Schwer zu schätzen ist auch die Anzahl der Minen, welche im Boden, im Wasser und auf Bäumen versteckt sind.

Nach der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation CODHES sind Minen nicht nur das wichtigste Verteidigungsmittel der Guerilla, sondern haben auch einen starken Anteil in der Vertreibung der Bevölkerung. Laut CODHES kann eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen einer Karte welche die Vertreibungen und einer Karte welche die verminten Gebieten aufzeigt festgestellt werden. Es ist jedoch schwer, Zahlen zu nennen, denn es ist unklar, wer wegen der Minen flieht und wer nicht fliehen kann, weil es so viele Minen gibt. Dennoch gibt es einen direkten Zusammenhang.

Zusätzlich zu der Entschärfung der Minen hat der kolumbianische Staat noch andere Ziele um die Anzahl der Minenopfer zu vermindern. Ein Punkt darin ist die Bildung der Bevölkerung zum Minenschutz. Kinder sind häufige Minenopfer aufgrund der fehlenden Aufklärung. Auch die Unterstützung von Minenopfern und die Koordination und Stärkung der Institutionen sind wichtige Punkte im Regierungsprogramm gegen die Minen.

Ich bin echt glücklich gerade mit unserem Team hier. Wir haben einen neuen Teamkollegen Isaac aus den USA und wir machen uns echt eine recht nette (Arbeits)zeit hier. Und alle lieben kochen > also essen wir auch super lecker.

Im April hatten wir auch wieder ein Treffen des Mesa Humanitaria, leider konnten nicht alle Organisationen kommen, und dadurch konnten wir die Analyse der Situation in San José de Apartadó nicht durchführen.

Da wir für längere Zeit zu Hause waren, hatten wir die Gelegenheit das neue Agrikulturzentrum in La Union besser kennen zu lernen. Dies ist ein Projekt der Friedensgemeinde, finanziert von einer Organisation in Spanien, um ihren Mitgliedern sowohl Heilpflanzen als auch Gemüse, Früchte und Kräuter zur Verfügung stellen zu können. Auch soll eine Bibliothek gebaut werden, welche hauptsächlich Bücher zum Schwerpunkt Agrikultur und Heilpflanzen hat.