Februar 2010 – Das Monat des dramatisierenden Massakers von 2005, es geht zurück nach Mulatos

Wow, die Zeit verfliegt wie verrückt! Jetzt bin ich bereits mehr als 4 Monate hier ... und was für 4 Monate ... 4 Monate mit super vielen Eindrücken und Ereignissen, 4 Monate mit Hochs und Tiefs, und der Februar war ein besonders ereignisreicher Monat.

Anfang Februar kam ein neuer Kollege angereist, Chris aus den USA, somit sind wir nun wieder 3 Leut’ im Team in La Union und können auf Petitionen (Begleitanträge) etwas flexibler eingehen.

In der zweiten Februarwoche kam Susana Pimiento (aus der FOR-USA Koordination in Bogota), Mark Johnson (vom FOR-USA Fundraising in Washington D.C.) und David (ein Freund von Mark und Gutsituierter Arzt) auf eine kleine „FOR-USA Kolumbienprojekt-Kennenlerntour“ bei uns vorbei. Wir organisierten ihnen einige Treffen mit Mitglieder des consejos Gemeinderates als auch kleinere Spaziergänge zum centro agricola (ein neuerrichtetes Agrikulturzentrum der Friedensgemeinde mit dem Schwerpunkt auf Heilpflanzen), einer primativera (Kleinbananenplantage) und einer cacoatera (Kakaoplantage). Klingt zwar gar nicht so aufregend, aber da steckt ganz schön viel Organisation dahinter, auch bzgl. der Schlafmöglichkeit oder dem regelmäßig warmen Essen. Wir hatten jedoch echt jede Menge Spaß, und Mark beschloss nach seinem Ausflug nach Kolumbien, dass das Kolumbienprojekt unmöglich ohne FOR-USA funktionieren kann und dass auch FOR-USA dieses Projekt, als eines der besten Beispiele von angewandter gegenwärtiger Gewaltfreiheit, unbedingt benötigt. Also eine echt erfolgreiche Delegation.

Tja, dann hatten wir noch eine mehr oder weniger gemütliche Woche in unserem geliebten La Union, in welchen ich auch noch für ein paar Tage von einem guten Freund aus Österreich Besuch bekam. bevor die ersten Zeremonien für das schreckliche Massaker am 21. Februar 2005 in Mulatos, in welchem sowohl einer ihrer besten Fuehrer, Luis Eduardo Guerra, als auch Kinder ermordet wurden.

Den ganzen Februar über hatten sich in La Holandita bereits viele internationale Organisationen eingefunden, abgesehen von den internationalen Begleitorganisationen wie FOR, PBI und die Palomas (aus Italien Operazione Colomba der Associazione Comunità Papa Giovanni XXIII). Eine der ersten Organisationen war Tamera (www.tamera.org) – eine Gemeinschaft aus Portugal, welche bereits seit einigen Jahren mit der Friedensgemeinde auf Austausch zusammenarbeitet. Ausserdem kam auch SOS Regenwald, mit Richard Weixler aus Österreich und einige Reporter von unterschiedlichen Teilen dieser Welt. La Holandita füllte sich und überall leuchteten die bunten Farben der Hängematten, in welchen die Besucher aufgrund von Bettenmangel schliefen.

Der erste große Tag war der 18. Februar. In aller Früh machten wir uns von La Union auf nach La Holandita, wo wir uns erst einmal kurz duschten, um dann wieder in unsere Gummistiefel zu schlüpfen, weil uns die defensora (= Volksanwältin) vorwarnte, dass wir uns ansonsten bald vor lauter Ameisenbissen kaum noch stillhalten könnten. Der Plan für diesen Tag war die Opfer des Massakers in 2005 aus dem Friedhof in San Jose auszugraben, die Leichen zu reinigen und an einem sichern Ort für den nächsten Tag aufzubewahren, an welchem sie dann nach La Holandita transportiert werden sollten. Zu Zeiten dieses Massakers lebte ein Grossteil der Friedensgemeinde noch in San Jose, weshalb die Toten auch in diesem Friedhof begraben wurden. Dies sollte nun geändert werden: Es gilt die Leichen der Friedensgemeindemitglieder sicher in La Holandita unter den Ihren feierlich zu begraben.

Mit um die 70 Leute, bunt durchmischt national als auch international, marschierten wir von La Holandita zum Friedhof in San Jose los. Am Friedhof angekommen flüchteten alle erstmals in den Schatten – es war wohl einer der heißesten Tage, und die Sonne brannte nur so auf uns herab - trotzdem galt es die „Gräber“ der Ausgewählten zu finden. Dies stellte sich aufgrund der kolumbianischen Dorffriedhofbedingungen (= verwilderte Wiese mit Kreuzen oder zerbrochenen Grabsteinen wild durcheinander verteilt) als etwas langwieriger als gedacht heraus. Schlussendlich waren die Gräber jedoch bestimmt, und die tapfersten und sonnenbestaendigsten Friedensgemeindemitglieder warfen sich in die brennende Sonne und fingen an Särge auszugraben. Wurde erstmal ein Sarg hervorgeholt, wurde der Leichnam (nur noch Knochen) identifiziert in einen schwarzen Plastiksack gesteckt und beschriftet. Lang nach Mittag waren alle Körper identifiziert und von hungrigen Teilnehmern fuer die Reinigung zum Fluss getragen.

Eines unserer Sicherheitsprotokolle bestimmt, dass wir spätestens um 17 Uhr den Aufmarsch nach La Union beginnen dürfen – also hatten wir noch ein schnelles „Mittagessen“ und machten uns auch schon wieder an den Aufstieg.

Am nächsten Tag fand eine kleine Demonstration in San Jose und Beerdigungsfeierlichkeiten in La Holandita statt. Leider konnte ich persönlich an diesem Event nicht teilnehmen, da wir noch jede Menge Vorbereitungen für unseren geplanten Ausflug nach Mulatos zu treffen hatten. So ein Ausflug/Begleitauftrag verlangt ganz schön viel Geplane und Gepacke! Hängematten, Moskitonetze, Essen, Wasseraufbereitungstabletten, Lesematerial, Moskitospray und Waschmittel ist nur ein kleiner, jedoch feiner Auszug aus unserer Packliste.

Am 20. Februar (wieder einmal zu frühsten Morgenstunden) machten wir uns auf den Weg nach Buenos Aires, eine kleine Siedlung ca. 40 Min von La Union, wo wir mit den von La Holandita heraufwandernden Leuten zusammentrafen und dann alle gemeinsam (an die 200 Personen), glücklich und vereint den 6 Stundenmarsch nach Mulatos antraten. Es ist ein ziemlich langer Weg, aber wunderschön! Im neu gestalteten Mulatos angekommen gab es erstmals eine kleine Bohnen-Reis-Stärkung, und dann durften wir auch schon unsere Hängematten für die verdiente Nachtruhe aufspannen.

Der 21. Februar als Haupttag begann mit einer Messe in der neuen Kapelle in Mulatos (wo die Leichen gefunden wurden) und am Ort des Massakers, am Fluss Mulatos. Danach gingen wir alle nach La Resbalosa (ca. 1,5 Stunden reiner Aufstieg), wo in 2005 auch ein grosses Massaker stattfand, um dort auch eine kleine Gedenkmesse zu feiern und die Geschichte des Massakers zu hören. Am Abend war eine große Versammlung geplant, in welcher sich all die unterschiedlichen, anwesenden Organisationen und Friedensgemeindeortschaften vorstellten.

Wie jedes Jahr sollte auch dieses Jahr die universidad campesina (= Farmeruniversität) stattfinden, und zwar die darauf folgenden 2 Wochen in Mulatos. Diese Universität ist ein Teil der alternativen Fortbildung welche die Friedensgemeinde zusammen mit anderen alternativen Gemeinden (einige indigene Gemeinden und Tamera) entwickelt hat. Die beteiligten Gemeinden treffen sich jährlich zum Wissensaustausch in unterschiedlichsten Gebieten (Gesundheit, Kultur, Technik) und tragen so gegenseitig zum Fortschritt der anderen bei.

Wir, als FOR, blieben noch ein paar Tage länger in Mulatos um leckere Bohnen und Reis zu genießen und um uns mit einigen Soldaten zu unterhalten, nachdem ein guter Bekannter der Friedensgemeinde auf seinem Weg nach Mulatos verschwunden geworden schien. Die Soldaten hatten ihn jedoch tatsächlich nicht verschleppt, und einige Tage später kehrte er auch wieder unversehrt zu seiner Frau zurück (wir wissen noch immer nicht was tatsächlich geschah, aber es war wohl eher eine private Angelegenheit). Nach dieser knappen Woche in Mulatos machten wir uns, mit einigen Führungspersönlichkeiten, wieder auf den Rückweg in unser Heimatdorf, um ein paar Tage später wieder nach Mulatos zurückzukehren – davon erzähle ich jedoch in meinem Märzreport.