Mai 2010 – Kolumbianische Kristall-, Wahl- und Plakatwelten

Mein Mai in der Friedensgemeinde war eher ein kurzer Monat, da mein Herr Papa mir einen ehrwürdigen, fast zweiwöchigen Besuch abstattete, aber Bogota meinem kleinen tropischen Bauerndorf vorzog > also zwei Wochen Urlaub in Bogota, Villa de Leyva und Villavicencio. War toll Besuch aus der Heimat zu haben, und noch mal toller aus der Familie!!! Hab ich echt super genossen.

In den zwei Wochen in der Friedensgemeinde bekamen wir jedoch eine Petition um zwei Friedensgemeindemitglieder in ihrer Ortschaft La Cristalina zu begleiten, da sich in der Nähe in der letzten Zeit des Öfteren paramilitare Gruppen blicken ließen. La Cristalina trägt ihren Namen zu Recht, denn es ist einfach ein von Schönheit blendender Ort mit einem wunderschönen, entspannenden Weg. Entspannend weil ohne große Anstiege, aber nass, weil mindestens acht Flussüberquerungen. Auf jeden Fall wandert mensch für zirka 2 Stunden durch traumhafte Wälder. Da in Kolumbien gerade wieder invierno (Winter bzw. die kühlere Regenzeit) ist, sind die Flüsse relativ hoch, und wer nicht auf einer bestia (Pferd, Maultier oder Esel) unterwegs ist kommt, völlig durchnässt an. In solchen Situationen helfen auch keine Gummistiefel mehr in welchen wir normalerweise unsere „Spaziergänge“ machen. Wir blieben für zwei Tage in La Cristalina, die Ruhe, die Aussicht über die Berge bis zum Meer und das leckere Essen mit Chili (ganz außergewöhnlich für Kolumbianer, welche normalerweise kaum scharf sondern nur salzig essen) genießend. Die paar wenigen Friedensgemeindemitglieder welche in La Cristalina leben, sind besonders nette Menschen, und unsere Zeit dort wurde durch angeregte Diskussionen verkürzt.

Wie in meinem letzten Monatsbericht erklärt befinden sich Friedensgemeindemitglieder ja verteilt in den unterschiedlichsten Ortschaften bis zu unterschiedlichen Bundesländern. Wenn wir Ortschaften besuchen, machen wir dies hauptsächlich um visuell die internationale Präsenz und das internationale Interesse in den Friedensgemeindemitglieder und in der Berücksichtigung ihrer Rechte zu zeigen. Das heißt wie überall wo wir uns befinden tragen wir unsere FOR T-Shirts und montieren unsere kleine, aber feine FOR Fahne. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist auch die Bestärkung der Friedensgemeindemitglieder in ihrem Tun. Verglichen mit der normalen Zivilbevölkerung haben sie aufgrund ihrer Ideale doch immer wieder einige Abstriche zu machen, wie eben, dass sie keine Staatsförderungen annehmen, oder sich ihre Ermordeten nicht bezahlen lassen, als auch Probleme in der Schulbildung und natürlich das Alkoholverbot. Ihre Position als Konfliktneutrale und vom Staat unabhängige Gemeinde hat natürlich viele politische Vorteile, aber die Mitglieder benötigen schon einen gewissen Weitblick um diese teilweise sicherlich schwer zu erkennenden Vorteile, besonders im täglichen Überleben, zu erkennen.

Auf jeden Fall verbrachten wir ein paar Tage des Monats Mai bei den Leuten in La Cristalina und hörten ihren oft schlimm, traumatischen Geschichten zu. Ein besonders nettes Pärchen erzählte uns besonders ausführlich von einem schrecklichen Ereignis im Jahr 2003 in La Cristalina bei welchem ihre 3 jährige, unschuldige Tochter von Soldaten des kolumbianischen Militär ermordet wurde. Was für eine Angst müssen die Leute hier immer wieder durchleben. Als sie uns diese erlebte Geschichte erzählten brach die Mutter in Tränen aus, Tränen die ihre Wut, ihre Schuldgefühle und ihre Unfähigkeit zu handeln ausdrückten.

Mai war außerdem auch das Monat der Präsidentenwahlen, am letzten Mai Sonntag. Wie die meisten von euch bereits wissen, gab es Kandidaten mit Überraschungen, wie der Kandidat der Grünen Partei und Ex-Bogota-Bürgermeister Antanas Mockus, welcher in den Wahlbefragungen außergewöhnlich viele Stimmen bekam, die „Grüne Welle“. Die Grüne Partei in Kolumbien ist jedoch bei weitem nicht so grün und links wie die Grünen in Österreich oder Deutschland, und trotz grün, auch große Unterstützer der seguridad democratica (die von Alvaró Uribe eingeführte Sicherheitspolitik mit starker Militärpräsenz zusammen mit der Unterstützung vom Volk). Der Grund warum er doch von vielen eher Linkswählern Stimmen erhalten hat, ist sein Ziel durch Bildung, Pädagogik und Integrität Kolumbien umzukrempeln. Während seiner Zeit als Bürgermeister in Bogota hatte er, durch spaßvolle Werbespots und Ideen, nicht nur ein großes Wassersparbewusstsein in Bogotas Bevölkerung hervorgerufen, sondern auch eine Beachtung der Verkehrsregeln und –zeichen, wie zB die Ampel! :)

Bogotaner waren auf jeden Fall großteils von ihrem Bürgermeister begeistert. Wahlbeobachtern und –überdenkern zu Folge hätte Antanas Mockus (Mathematiker und Philosoph) zusammen mit seinem Team aus erfolgreichen Ex-Bürgermeistern aus Bogota und Medellin, besonders unter Großstädtern gute Chancen. Leider schnitt Mockus besonders nach Fernsehdiskussionen, auf welche Fragen er des Öfteren eher schlecht vorbereitet war, als auch aufgrund seiner eher komplizierten Ausdrucksart, eher schlecht ab. Schlussendlich bekam er in der ersten Wahl auch nur 21 % der Stimmen ab, und sein größter „Gegner“ Juan Manuel Santos, ein großer Unterstützer der Politik Alvaro Uribes, hatte mit 49 % der Wahlstimmen, eigentlich schon so gut wie gewonnen. Die Stichwahlen wurden für den 20. Juni 2010 angesetzt, und wie ich bereits jetzt berichten kann (da ich diesen Bericht ja erst im Juli schreibe) gewann die Stichwahlen auch tatsächlich Juan Manuel Santos, welcher seine Position als neuer Präsident von Kolumbien ab 7. August 2010 antreten wird. Während des Wahlkampfes war Santos, besonders in der eher links orientierten Gesellschaft, stark kritisiert (nicht nur aufgrund seines anscheinend nicht allzu hohen IQs). Nach dem eindeutigen „Sieg“ und der größten parlamentarischen Mehrheit in der kolumbianischen Geschichte, sind die Kritiken (zumindest vorläufig) etwas verschwunden und mensch wartet auf den „Untergang“ :)

Tatsächlich gibt es total unterschiedliche Analysen über den neu gewählten Präsidenten, welcher (seinen Eltern nach) bereits in den Windeln davon träumte einmal Präsident zu werden. Einerseits fürchten die Kolumbianer seinen undiplomatische Charakter und die bereits jetzt super-schlechten bis zu Hass-Beziehungen zu den Nachbarstaaten wie Venezuela und Ecuador. Andererseits hat Santos Erfahrungen in den unterschiedlichsten Bereichen welche, der heutigen kolumbianischen Politik zufolge, als Präsident erforderlich sind: Militär, Wirtschaft und der Kongress. Santos findet Unterstützung durch den Kongress, die Grossunternehmer, die Gremien, das Militär, die Kommunikationsmedien (El Tiempo eine der wichtigsten Tageszeitungen Kolumbiens ist im Besitz der Familie Santos), die USA bis zu den (kaum existierenden) Gewerkschaften. Bereits jetzt wird ihm eine acht jährige Präsidentschaft vorausgesagt, als auch ein Leichtes in der Durchführung der von ihm gewünschten Reformen im Bereich Gesundheit, öffentliche Gelder und Pensionen.

Direkt nach der Wahl wurden unterschiedliche Stimmen, welche eine Wahlbetrug kritisierten, laut, unter anderem auch von CODHES, die kolumbianische Menschenrechtsorganisation, welche eine Untersuchung an einem Vergleich der vermehrten Wahlbeteiligung von Nutznießern staatlicher Gelder (familas en acción) und der Stimmabgabe für Santos durchführte. Diese Kritiken blieben jedoch stets ohne große öffentliche Bekanntgabe. Nicht Selten hörten wir auch von Wahlstimmenkauf, Wahlurnenfälschungen und –verbrennungen als auch von Wahlauswertungssoftwaremanipulationen. Wahlstimmen kaufen sich, interessanterweise, je nach Region und politisches Bewusstsein günstiger und teurer. In Turbo wurden Stimmen bereits um COP 30.000,-- (ca. EUR 12,--) verkauft, während in San José, wo Politik immer schon eine bedeutende Rolle spielte Stimmen erst ab COP 100.000,-- (ca. EUR 43,--) verkauft wurden. Auf jeden Fall immer eine Menge Geld für einen Klein-Bauern.

¿Welche Auswirkungen wird der neue Präsident jedoch auf die Region Urabá und somit die Friedensgemeinde San José de Apartadó haben? Das Interesse, welches Alvaro Uribe in das Land in Urabá hatte, war ausgesprochen groß, da seine Familie den Grossteil ihres Besitzes in dieser Gegend hat. Santos hat historisch gesehen kein erhebliches Interesse in Urabá, welches zu einer Beruhigung der Situation führen könnte, jedoch hat Santos noch einige Schulden mit Uribe auszugleichen, denn der Gute hatte ihn doch, trotz besserer Kandidaten damals zum Verteidigungsminister ernannt. Also Mal sehen was dies nun bedeutet. Prinzipiell ist die Wahlbeteiligung unter der ärmeren Bevölkerung in Kolumbien sowieso ziemlich gering, da Kolumbianer, um überhaupt einmal wahlberechtigt zu sein, erst einmal ihren Personalausweis auszustellen haben (Kosten ca. COP 150.000,--; ca. das Monatseinkommen eines Kleinbauern) und sich zusätzlich auch noch in das Wahlregister eintragen lassen müssen. Mitglieder der Friedensgemeinde beteiligen sich kaum an den Wahlen, da der Grossteil die Meinung vertritt, dass ein Kandidat den Anderen an Schlechtheit kaum zu übertreffen wagt, und sie für solche Wahlen ihre Stimmen nicht „verschwenden“ möchten. Das demokratische Wahlbewusstsein, welches wir Österreicher geschichtlich mitbringen, und einem eher zum Weiß- denn zum Nichtwähler macht, ist in Kolumbien kaum, und noch mal weniger in der Gesellschaftsschicht der Kleinbauern, vorhanden.

Eine weitere, meiner Meinung nach, bedeutend interessante Beobachtung, war ein Plakat der fuerza publica (Staatskraft = Polizei und Militär). Es war eines dieser Plakate, welche mensch heutzutage häufig und in den unterschiedlichsten Orten vorfinden kann. Eines dieser Plakate welche die kolumbianische fuerza publica nutzt, um ihren Beliebtheitsgrad in der Bevölkerung zu erhöhen. An den Straßenrändern gibt es Plakate welche vermehrt darauf hinweisen, dass diese Straße nur aufgrund des kolumbianischen Militärs befahrbar ist, welche „für die Sicherheit auf ihrer Straße sorgt“. In Einkaufszentren oder sonstigen von der Öffentlichkeit stark besuchten Plätzen sind Riesenplakate mit wieder anderen Nachrichten vorzufinden. Dieses eine Plakat welches ich in Bogota, am Eingang eines Einkaufzentrum vorfand gewann jedoch mein ganz besonderes Interesse: „Danke dem Militär, durch wessen Hilfe die Flüchtlingsrate zurückging.“ Jede Person welche sich mit der „Flüchtlingsbewegung“ in Kolumbien auseinandersetzt weiß, dass die fuerza publica in Kolumbien eine große Mitschuld an dem desplazamiento hat.